Martin Rist

Blogparade: BYRD ersetzt BYOD

von Pisaversteher • Martin Rist
<h4>Na, dann mache ich mal den Anfang.</h4> <p>Kurz zu mir: Ja, ich bin auf der dunklen Seite der Macht. *lol* Ich bin zuständig für den Bildungsmarkt bei einer sehr großen IT Firma mit zwei Buchstaben. Um das Thema „ICT in Education“ (wie es international mal genannt wurde, bevor EdTech, Digital Learning, usw. dazu kamen) kümmere ich mich mit viel Leidenschaft seit mehr als 7 Jahren.</p> <p>Ich schreibe diese Einleitung extra, weil bei vielen gleich die Rollläden runtergehen, wenn Sie hören, dass ich das Thema bei einer Hardware Firma verantworte. „Ach, der will mir ja nur ein Device verkaufen“ – Ja klar, wenn Du schon alles drum herum kannst (z.B. mit entsprechend ausgebildeten Lehrern, einem richtigen „Plan“ inklusive Zielen ) und hast (z.B. Infrastruktur, Lernmanagementsystem und die Finanzierung), dann gerne! Aber leider ist das in den allermeisten Fällen nicht so – und darum ist es (noch) oftmals viel mehr Beratung als Vertrieb. Es gibt leider nicht so viele digitale Lehrer2.0 oder Kommunen, die das ordentlich treiben. Selbst wenn eine „willige“ Schule etwas umsetzen will, dauert es in der Regel ca. ein Jahr. Also mal „schnell Kisten schieben“, das klappt sowieso nicht!</p>

<p>„Was tun mit den Digital-Milliarden für Schulen?“, lautet die Frage für die Blogparade. Meine Meinung dazu heißt: Wir sollten ein neues System von Leih- und Leasinggeräten einführen. Dazu gleich mehr.</p>

Ich finde es zunächst wichtig, der Infrastruktur die Priorität zu geben. Also Breitbandanschluss und flächendeckendes WLAN in der ganzen Schule. Dazu zählen sollte man auch Server, Storage, Schulnetzwerkmanagement usw. – also alles, was die späteren Inhalte und die Endgeräte „managen“ kann. Bitte am besten auch gleich die Softwarelizenzen für die nächsten fünf Jahre im Voraus einkalkulieren, sofern das möglich ist.

Nehmt ein Systemhaus um die Ecke

Bitte liebe Schulen/Schulträger/Direktoren, nehmt ein Systemhaus „um die Ecke“, umso näher umso besser! Es muss kein großes sein. Oder nehmt das, was Euch den Service so bietet, wie Ihr ihn braucht.

Bitte keine deutschlandweite Ausschreibung oder zentrale Beschaffung, das dauert ewig, spart gar nicht so viel und wird in die Hose gehen. Umso größer die Ausschreibungen werden, umso weniger werden die Schulen beinflussen können, umso weniger „persönlichen Support“ wird es geben, den Ihr ohne Zweifel, vor allem am Anfang, benötigen werdet. 

Kommen wir zu den Endgeräten. Zunächst würde ich erstmal alle Lehrer mit Tablets oder Laptops austatten! Ja genau – die Lehrer! Bei welchem Arbeitgeber müssen die Angestellten ihre IT-Ausstattung privat bezahlen?! Das gibt es wirklich nur an Schulen. Sorry, aber das kann eigentlich nicht sein, oder?! Die Geräte sind im Besitz der Lehrer, bleiben aber formal Schuleigentum.

Tablets mit abnehmbarer Tastatur

Die Geräte sollten so beschaffen sein, dass sie Sinn für den Einsatz beim Lernen machen. Meiner Meinung nach ideal wären 2-in-1 Geräte. Das sind z.B. Tablets mit abnehmbarer Tastatur. Sie sollten unbedingt mit digitalem Stift nutzbar sein. Das ist eindeutig die Zukunft. Es geht nicht nur um das Finden und Lesen von Inhalten, sondern auch um die Erstellung von eigenen Inhalten – und das geht nun mal wesentlich besser, wenn man eine richtige Tastatur und einen vollen Bildschirm zum Arbeiten hat. Der digitale Stift ist enorm wichtig, da er das Arbeiten so ermöglicht, wie man es gewohnt ist, also Notizen auf Arbeitsblätter zu machen. Studien zeigen, dass hiermit wesentlich besser gelernt wird. 

Einen Teil des Budgets kann man sicher auch für ein paar Klassensätze investieren, um diese für Projekte zu nutzen oder eben als Einstieg für den Anfang.

Das Wanka-Programm kann nur der Startschuss sein

Wieso schreib ich hier von „Anfang“?! Weil dieses ganze Programm, das Bildungsministerin Johanna Wanka vorgeschlagen hat, eher so etwas wie der Startschuss oder meinetwegen die Initialzündung sein kann für: Digitale Bildung in Deutschland.

Warum ich das so sehe?! Weil das Ziel über kurz oder lang sein wird, dass jeder Schüler sein eigenes Gerät hat. Wir reden über ein 1:1 Szenario. Und das können diese fünf Milliarden nicht finanzieren – und sie müssen es auch nicht meiner Meinung nach!

Denn es gibt ja noch etwas, das sich BYOD nennt: Bring Your Own Device, also auf deutsch, „bring Dein eigenes Gerät mit“. Eine nette Abkürzung, die sich übrigens knapp 40 Mal im Papier vom 8.9.2016 des Deutschen Bundestags zur Technikfolgenabschätzung findet.

Ein elternfinanziertes Gerät – das man auch anders bezahlen könnte

Ich hoffe, allen ist klar, dass BYOD – rein von der Finanzierungsseite her gesehen – auch übersetzt werden könnte mit: „elternfinanziertes Gerät“ oder „bring Dein von den Eltern bezahltes Gerät mit!“ Nette Verpackung, oder?!

Ich halte nicht so viel vom klassischen BYOD, wo jeder mit einen anderen Smartphone im Unterricht sitzt. Ja, es ist nett, mal ein bisschen Recherche mit dem Smartphone zu machen oder eine Umfrage in den Unterricht einzuschieben. Aber ich finde das nicht zielführend, und, nebenbei, auch aus IT-Sicht nur sehr schwer zu managen. Diese Nutzung bleibt nur browserbasiert, weil man auf private Endgeräte nicht so leicht Software installieren kann. Meistens hat man außerdem eine heterogene Ausstattung. Es gibt Studien (eine kommt bald raus), die belegen, dass eine homogene Ausstattung der Klasse wesentlich sinnvoller und zielführender. BYOD – das zeigt die Studie – kommt durchaus nicht ohne Probleme daher.

Also angenommen, wir haben dann alles in der Schule (WLAN, Server, etc ) die Lehrer sind ausgebildet – ja dann schreit das doch förmlich nach Schülerendgeräten?! Sonst machen ja auch die vielfach geforderten digitalen Schulbücher keinen Sinn. Oder lassen die Schüler heutzutage Ihre Bücher in der Schule?!

Ein 1:1-Szenario

Auch kann ja mit ein paar Klassensätzen an Tablets kein richtiger fächerübergreifender Unterricht gemacht werden. Die führenden digitalen Schulen haben alle das 1:1-Szenario umgesetzt. Was nun aber nicht bedeutet, dass nur noch mit den Geräten Unterricht gemacht wird.

So und wie soll das finanziert werden?! Ich nenne das – angelehnt an BYOD – eben BYRD, was für „Bring Your Rented Device“ steht: Bring Dein Mietgerät mit!

Dahinter steckt folgendes, nachweislich in der Breite funktionierendes Modell:

Die Schule wählt das zu nutzende Gerät aus oder trifft eine Vorauswahl. Dieses Gerät finanzieren die Eltern, aber nicht indem sie die monatliche Rate (Mietkauf oder Leasing) direkt an die Schule zahlen, sondern an einen Fachhändler, der die einzelnen Verträge mit den Eltern auch zeichnet. Idealerweise ist es auch der Fachhändler, der den Support an der Schule leistet.

Nicht Eigentum der Eltern

Was an dem Modell so besonders ist? Die Geräte sind während der Laufzeit (meist 36 Monate) nicht Eigentum der Eltern, sondern Eigentum des Fachhändlers – und da diese in der Masse für schulische Zwecke eingesetzt werden, darf die Schule alle Ihre Lizenzen verwenden und kann die Geräte nutzen, als wenn es ihre eigenen wären. Die Softwarehersteller interessiert es in der Regel nicht, wer die Geräte finanziert hat, sondern wo und von wem sie eingesetzt werden.

Natürlich können dann Sachen mit einkalkuliert werden wie: Ersatzgeräte, Garantieverlängerungen, Versicherungen (z.B. gegen Beschädigung oder Diebstahl), auch Geräte für sozial Benachteiligte können beschafft werden. Den gewünschten Service und Support kann man ebenfalls mit einpreisen. Vielleicht ab einer gewissen Größe, sogar einen lokalen IT Administrator?!

Was haben die Eltern davon? In der Regel müssen sie sowieso ein Gerät für Ihre Kinder beschaffen, hier beschaffen Sie es eben über eine Art Sammelbestellung über die Schule. Es kostet vielleicht etwas mehr als im Media Markt, aber dafür bekommen sie auch einen professionellen Support über 3 Jahre. Wenn das Gerät kaputt ist, wird es repariert oder ausgetauscht. Wenn es runterfällt, ebenso.

Eine eigene Partition

Das Kind bzw. der Schüler macht in der Schule damit vormittags etwas sinnvolles (ich erspare mir jetzt die Auflistung aller möglichen Kompetenzen die erworben werden können – allen voran die Medienkompetenz und was man eben alles damit im Unterricht machen kann), nachmittags kann der Schüler/die Schülerin, dieses Gerät zu Hause ganz normal auch privat nutzen (durch eine zweite Partition auf der Festplatte) oder eben für schulische Zwecke. Es wird damit zu seinem echten „Arbeitsgerät“.

Bei einem Mietkaufmodell, werden am Ende der Laufzeit die Schullizenzen und Daten gelöscht und das Gerät geht in Eigentum der Eltern über. Alternativ beim Leasing wird das Gerät zurückgegeben und der Fachhändler kümmert sich um eine ordentliche Wiederverwertung.

Was hat die Schule davon? Nun, die neue Infrastruktur die von der Bundesregierung ermöglicht wurde, wird richtig genutzt! Nicht nur von ein paar Tabletwägen oder den Pilotklassen, sondern sofern gewünscht von allen Schülern.

Die Technik wird nie veralten

Die Technik wird außerdem nie veralten! Sie wird maximal drei bis vier Jahre alt sein.

Wichtig: Das Angebot an die Eltern muss fürs erste ein Freiwilliges sein. Ich glaube, bis wir bei einer verpflichtenden Beschaffung sind (wie es z.T. bei Taschenrechnern der Fall ist oder dem ein oder anderen Schulbuch, je nach Bundesland) wird es noch eine ganze Zeit lang dauern und das benötigt auch neue Rechtsgrundlagen. Die Zeit haben wir nicht.

Außerdem kostet das freiwillige Modell dann auch keine Wählerstimmen Man befriedigt die „modernen“ Eltern die das gerne unterstützen, nimmt aber die „konventionellen“ Eltern ebenso mit, wenn man weiter „analoge“ Klassen anbietet, die dann eben nur ab und zu mit Geräten arbeiten die im Schulbestand sind (z.B. Tabletwägen).

Was sehr wünschenswert wäre – und was dem Ganzen nochmal enormen Schub geben würde: Wenn a) die monatlichen Elternraten steuerlich absetzbar wären (ähnlich der Absetzbarkeit von Kita Gebühren) und b) eine Art Fonds errichtet, wird der sozial Benachteiligte mitgenommen bzw. subventioniert (ähnlich wie im Bildungs &-Teilhabe Programm)

15 bis 30 Euro pro Monat

Was hat der kommunale Schulträger davon? Nun, abgesehen davon dass er die Geräte und den Support nicht bezahlen muss, kann die Refinanzierung der Geräte auch über die lokalen kommunalen Banken stattfinden – und die arbeiten ja immer eng mit den Kommunen zusammen.

Womit wir wieder beim „lokalen“ Modell sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Direktor der Volks- oder Raiffeisenbank oder der Sparkasse den Bürgermeister kennt, der wiederum seine Schuldirektoren kennt. Und die Eltern haben die Möglichkeit auch noch eine lokale Filiale aufzusuchen.

Was kostet diese Modell die Eltern? Kommt auf das Gerät an! Aber meistens sind es 15 bis 30 Euro im Monat, je nach Geräteklasse. Man darf nicht vergessen, dass über die Sammelbestellung auch andere Preise erzielt werden können als beim Einzelkauf.

Muss die Schule das Ausschreiben? Gute Frage! Ich glaube nicht, da es ja die Eltern sind, die freiwillig die Geräte beim Fachhändler finanzieren. Das ist kein unwichtiger Punkt, da es einiges an der Umsetzung beschleunigen kann – und womit wir wieder beim lokalen Modell wären: Die Schulen können sich eher und leichter den lokalen IT Support aussuchen.

Unna!

Funktioniert das?! Ja klar! Schon seit über zehn Jahren! Zum Beispiel in Unna: Es gibt dort Schulen die haben bei sinkenden Schülerzahlen, steigende Notebook-/Tabletklassen! Die Schulen dort haben mittlerweile Probleme, „analoge“ Klassen anbieten zu können. Und wir reden hier auch nicht über eine wohlhabende Gegend. Wer sich zur Umsetzung einlesen möchte, kann auch mal hier die Berichte einer Schule lesen. 

Auch die Stadt Hannover fährt gerade ein sehr ähnliches Pilotprojekt mit fpnf bis sechs Schulen! Eine Mischung aus schul- und elternfinanzierten Geräten.

Natürlich empfiehlt es sich, bei Übergangsklassen anzusetzen und die Eltern darüber vor Übertritt zu informieren. Im laufenden Betrieb geht natürlich auch, aber dann sollten sich alle Eltern zu 100 Prozent einig sein, wenn nicht alle mitspielen, geht es nicht.

Für mich ist dieses Miet- oder Leasing-Modell die Zukunft. Es schafft eine homogene Geräteausstattung in die Schule zu bringen, ohne die Kommunen oder Eltern übermäßig zusätzlich zu belasten – vorausgesetzt, das Gerät ersetzt das ohnehin anzuschaffenden Privatgerät. 

Es ermöglicht einen lokalen Touch, gibt viel Flexibilität, schreibt niemanden etwas vor, ist Hersteller- und Betriebssytemneutral; es benötigt keine großen Ausschreibungen. Die Technik wird nicht veralten und, sofern im Leasingmodell, werden die Geräte auch fachgerecht wieder verwertet. Wichtig ist hier das Wort „herstellerneutral“.

Wer trägt die Ausfallrisiken? Was, wenn die Schule 75 Prozent Benachteiligte hat?

Natürlich gibt es noch ein paar Stolpersteine z.B.: wer trägt die Ausfallrisiken? Der Fachhändler über Rücklagen die in die Rate eingearbeitet werden? Oder der Schulträger?

Was ist wenn 75 Prozent der Schüler/innen aus sozial benachteiligten Haushalten kommt? Dann funktioniert das Solidarprinzip nicht mehr, und die Kommune wäre zu sehr belastet. Springt dann der Bund ein mit einem Fonds? Andererseits: woher kommt dann die Ausstattung mit Smartphones zu 95 Prozent der Schüler?

Das Modell ist sehr aufwendig vor allem in der Erstumsetzung für den Fachhändler, denn es müssen sehr viele Verträge gezeichnet und gemanagt werden. Aber es gibt schon einige, die das richtig gut machen. Ich sehe keinen Grund, warum es nicht mehr werden könnten.

Mit dem jetzigen Programm werden die Grundlagen gelegt dafür. Wenn tatsächlich noch eine steuerliche Absetzbarkeit der Elternfinanzierung kommt, dann geht es richtig ab! Dann dürften alle glücklich sein, die die Digitalisierung wollen.

<p>Eines noch: Bitte einfach mal anfangen! Ja, wir werden unsere Fehler auf diesem Weg machen, und es wird nicht alles von Anfang an perfekt sein, aber daraus lernt man doch auch.</p>

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